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Zuckerfrei ab Mitte Mai

Gute Vorsätze. Tun uns diese gut?

Seit der Schwangerschaft und vor allem die ersten Monate nach der Geburt unseres Kindes haben wir beide ordentlich an Kilos zugelegt. Der Schlafmangel und Stress wollte irgendwie kompensiert werden und wir haben uns das nicht verwehrt und verboten. Wenn es eh schon anstrengend ist, weil dein Leben gerade fundamental auf den Kopf gestellt wird, du dich neu einfügen und finden musst, dann sei nicht auch noch streng mit dir und erwarte direkt wieder eine Top-Bikini Figur und Leistungsstärke.

Wir haben die letzten zwei Monate vor der Geburt schon einmal zuckerfrei gelebt, weil das gesünder für unser Baby ist und weil ich gelesen hatte, dass dann die Wehen nicht so schlimm sein würden. Super Motivation! Da fiel es mir leicht das zu machen. Und nach ca. drei grummpy Entzugs-Tagen vermisste ich den schweinischen Süßkram auch nicht mehr. Tatsächlich fühlte es sich sehr gut an. Ich hatte weniger oder gar keinen zwischen durch mal Hunger und war mit den festen und gesunden Mahlzeiten ganz zufrieden und erfüllt. Wir hatten sogar zuckerfreien Senf und Gewürzgurken im Haus. Ja, die sind sonst mit Zucker. Man muss auf so vieles achten.

Dann kam die Geburt. Und nachdem ich während der Wehen dachte, dass ich sterben würde und das nicht überlebe, die Geburt nicht lockerflockig verlief und in einen Kaiserschnitt gipfelte, war ich hinterher so wütend und enttäuscht von dem „Hippishit“, dass ich aus Trotz und Protest mir dann wieder die Zuckerbomben gegönnt hatte. Und zwar so richtig! Die ersten Wochen gab es viel „Ich gönn mir“-Kuchen. Das war nötige Nervennahrung in der ersten Zeit. Aber nun, nach einem Dreiviertel Jahr, sind wir angekommen in der neuen Rolle und dem Mehraufwand an Arbeit und wollen uns mit mehr Sport und Ernährung wieder unserem körperlichen Wohlbefinden widmen. Unsere Idee dafür? Wieder Zuckerfrei.

Jetzt fällt es aber auch wieder schwerer dem Zucker zu entsagen, der hat ja nun bekannter Weise doch ein wenig suchtpotential. Und wir haben unsere Dosis ganz schön erhöht. So schieben wir seit Wochen den Spruch vor uns her: „Zuckerfrei ab Mitte Mai!“ Der Gedanke dahinter: „Wir werden uns dem stellen, aber noch nicht heute, sondern in der Zukunft. Soll sich Zukunfts-Jenny damit rumplagen.“ Ein wenig Aufschub. Ein guter Vorsatz. Doch ist es bereits ende Mai und wir immer noch Sugarholics. Und unser Vorsatz macht uns ein schlechtes Gewissen. Was sich auch nicht gut anfühlt.

Und wärend wir nun unseren gut gemeinten Vorsatz vor uns her schieben, vergeht die Zeit und ich bemerke, dass es sich sanft von ganz alleine wieder einpendelt. Wir schaffen es immer öfter wieder selber und gesund zu kochen. Ich habe wieder Freude daran. Und dann schmeckt es auch gut! So richtig gut würzen kann ich nur mit guter Laune. Das ist auch immer ein Anzeichen für mich, wenn das Essen versalzen ist oder unstimmig, dann bin ich nicht verliebt, wie das gängige klichee sagt, sondern emotional irgendwie aus meiner Mitte.

Wir kochen wieder gerne und essen auch weniger Süßkram, oder? Na gut, Eis an der Eisdiele, hmm und Nutella steht auch noch auf dem Frühstückstisch und…Kuchen. Hmmm.. na ja, vielleicht essen wir immer noch Süßkram. Aber ich fühle mich in meinem Körper wohler. Mein Bauch hat wieder mehr stärke. Die Muskeln rücken wieder in die Mitte. Und ich fühle mich nicht mehr so in Mitleidenschaft gezogen. Vor dem Wochenbett war mir noch nicht mal bekannt gewesen, dass es eine Rektusdiastase gibt. Rektus..was? Ja, genau. Wir kriegen so wenig erzählt von der Zeit nach der Geburt. Rektusdiastase bedeutet, dass die Bauchmuskeln sich von der Mitte des Bauchs zur Seite verschieben, wenn der runde Babybauch richtig prall wird, und diese nicht einfach so wieder dorthin zurück gehen. Dafür muss frau was tun. Der weibliche Körper leistet da was wahnsinniges. Alle Organe innen drin verschieben sich nach oben, die Muskulatur verschiebt sich, das Gewebe wird ganz weich. Alles, um platz zu schaffen für dieses neue wundervolle Leben.

Und das sieht und fühlt Frau hinterher dann auch. Es war für mich befremdlich zu fühlen, dass mein Bauch so weich und ungeschützt war. Wenn sich eine zu feste Berührung gleich bedrohlich anfühlte. Mein Körperempfinden kommt nun zu mir zurück, weil ich mich besser bewegen kann. Weil ich super stark und fit werde, allein dadurch, dass ich mein Kind, dass immer größer und schwerer wird, den ganzen Tag trage. Weil der Frühling mich rauslockt und ich mich dadurch mehr bewege. Ganz natürlicher Rhythmus des Lebens, der Jahreszeiten. Und die Baby-Kilos gehen langsam und stetig zurück. Jetzt nach fast einem Jahr fühlt es sich wieder normaler an und damit ich mich auch wieder mehr zu Hause in meinem Körper. Und das ist mein eigentlicher Wunsch hinter dem Projekt Pfunde purzeln oder eben Zuckerfrei gewesen.

Es ist immer wichtig, egal bei welcher art Ernährungsumstellung, zu hinterfragen wieso tue ich das jetzt eigentlich? Was erhoffe ich mir davon? Wie wichtig ist mir dieses Ziel?

Dadrüber hinaus lerne ich dadurch gerade Geduld. Das fällt mir im Leben total schwer. Ich will alles immer jetzt sofort. Dass etwas Zeit braucht zum wachsen, akzeptiere ich leichtfüßig eigentlich ausschließlich im meinem Garten. Aber sonst nicht. Und die Erfahrung der Schwangerschaft, dadurch selber der Garten zu sein, in dem was wächst, zwingt mich Geduld zu üben. Dankbar sein für die Lektionen des Lebens, heißt aber nicht, dass ich sie in dem Moment der Anstrengung auch gut finden muss. So wie man mit brennenden Muskeln den Marathon laufend, verflucht diese Idee gehabt zu haben, aber hinterher zufrieden Endophine überschüttet im Ziel zusammen bricht.

Darauf erstmal ein belohnendes stück Kuchen. Mit Wertschätzung der Leistung gegenüber und Genuss. Zuckerfrei? Das machen wir dann mal, wenn wir stark und in unserer Mitte sind und extra Energie übrig haben für so eine Umstellung, mit Lust am gesunden Körper-Benefit und nicht um unseren Baby-Speck los zu werden. Den brauch unser kleines gerade doch auch noch zum kuscheln.

Tun Vorsätze gut? Ja, aber es müssen die richtigen, aus den richtigen Gründen sein.

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